Home • Pressestimmen • Die Welt/19.3.2005

Warum nicht wir?

Noch immer geben in unseren Debatten Schriftsteller über 70 den Ton an. Michael Kleeberg erklärt, warum seine Generation die Allzuständigkeit der Altvorderen nicht anstrebt
von Michael Kleeberg


Warum die Schriftsteller der Nach-68er-Generation in Deutschland nicht endlich die Diskurshoheit übernehmen, ist die implizite Frage, die sich stellt, wenn wie jetzt wieder in einem bei Eichborn veröffentlichten Listing der "wichtigsten deutschen Intellektuellen" zum x-ten Mal die alten Herren aus den jungen Jahren der Republik an vorderster Stelle genannt werden. Warum sieht und hört man nicht auch diejenigen, die, in Fachkreisen durchaus anerkannt, der hiesigen Literatur neue Impulse geben? Eine Verschwörung der Gerontokratie? Eine Verweigerung der Jüngeren? Oder ist eigentlich alles ganz in Ordnung?
Es spricht aus dem Interesse an diesem Phänomen ein wenig Neid auf unsere Nachbarn wie die Franzosen, bei denen in jeder Generation Künstler auf Augenhöhe mit den Herrschenden gestritten, diniert und manchmal gekungelt haben.
So war es aber in Deutschland nie: Unsere Intellektuellen haben meist an der Peripherie gesessen und in ohnmächtiger Wut von ganz anderen Verhältnissen geträumt.
Zumal nach 1945 hat das Engagement deutscher Schriftsteller der bitterernsten Frage nach dem richtigen politischen Weg gegolten, und in gewisser Hinsicht sind viele von ihnen Opfer einer Form von Dialektik der Aufklärung geworden: Half ihre Einmischung in den Jahren, da die Demokratie hierzulande nur eine uns von den Siegermächten übergeworfene Hülle war, das Wort mit Leben zu erfüllen, so schienen sie in ihrem Eifer nicht zu bemerken, daß sie irgendwann etabliert war und wollten immer noch darüber hinaus.
Die DDR glaubte, die historische Wahrheit per Definition gepachtet zu haben. Wir wissen heute, zu welchen Verrenkungen diese Lebenslüge Schriftsteller zwang, die nicht irgendwann in den Gotha der Verfemten, Verhafteten, Ausgebürgerten Einlaß gefunden haben.
Noch im Herbst 1989 war es schwer, einen politisch engagierten Autor der Nachkriegs- oder 68er-Generation zu finden, der nicht an einen Sozialismus als die Staatsform der Zukunft glaubte. Meine Altersgenossen haben politisches Engagement jedenfalls selten anders kennengelernt, denn als Wahlhilfe für die SPD und Sympathie für die Grünen. Das "irgendwie links stehen", zu dem sie sich meist immer noch bekennen, ist mehr eine ästhetische Kategorie - Fischer ist cooler als Merkel -; jedenfalls hindert es nicht, seine Kinder auf private Eliteschulen zu schicken, auf ein USA-Stipendium zu hoffen oder gar seinen offiziellen Wohnsitz in Irland zu nehmen, um der Steuer zu entgehen.
Es ist ein interessantes Phänomen in der deutschen Gesellschaft seit 1945 und ausschließlich in ihr, daß die geistigen Opponenten des "Irgendwie links" keine intellektuelle Kaution besitzen noch je besessen haben, ja daß der Begriff der Freiheit, wenn man ihn einmal (was ja andernorts keineswegs so absurd ist wie hierzulande) als den großen Gegenpol aller sozialistischen Ideologien begreifen will, als universelle Verheißung und Verantwortung, in Westdeutschland unter den Schriftstellern keinen wortmächtigen Herold gefunden hat, was daran liegt, daß nach der Nazizeit die intellektuelle Freiheitshoffnung hier eben an die Linke geknüpft war. Das führte dazu, daß die hohe Zeit der engagierten deutschen Literatur mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten geendet hat.


Erschienen in „Die Welt“, 19.3.2005



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