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Harald Schmidt
Der ergraute Dirty Harry


Die Spaßgesellschaft hat Karriere gemacht, und Harald Schmidt ist ihr Prophet. Anfangs scheiden sich die Geister über Deutschlands intelligentesten TV-Talker: Die einen danken ihm Humor und Witz, der nunmehr selbst im Land der todernsten Mahner und Warner salonfähig ist. Für die anderen ist seine „Late-Night-Show“ das Hochamt einer platten Unterhaltungskultur, die kalauert und schweinigelt, weil sachliche Kritik an Politik und Gesellschaft langweilig ist und schlecht für die Quote. Ist Schmidt nun ein virtuoser Spötter, der sich um Denkverbote und Konventionen nicht schert – also ein Aufklärer – , oder ist er ein arroganter Witzereißer, der sich auf Kosten von Minderheiten amüsiert – und damit ein Reaktionär? Als seine Late Night Show Ende 2003 überraschend abgesetzt wird, wegen eines Eigentümerwechsels beim Sender SAT 1, ist das Jammern groß – als ob sich eine nationale Institution verabschiedet. Schmidts Nachfolgerin Anke Engelke tut sich keinen Gefallen, sein Showkonzept zu übernehmen, denn Schmidts Auftritt als Conferencier und schauspielender Comedian beherrscht natürlich keiner besser als er selbst. Seit 2005 ist Schmidt bei der ARD unter Vertrag und schmäht den Privatsender SAT 1 als „Unterschichtenfernsehen“. Schmidt hat einen weiten Weg zurück gelegt.

Ist es zu hoch gegriffen, aus der Beliebtheit und Bedeutung Schmidts zu schließen, dass sein Witz die Deutschen verändert hat? Ein Beispiel: Beim ersten Irak-Krieg 1991, als die Amerikaner Kuwait von Saddam befreiten, wird Deutschland noch von pazifistischen Gefühlen derart übermannt, dass selbst die hartgesottenen rheinischen Karnevalisten auf ihre Umzüge verzichten. Beim Golf Krieg Bushs 2003, der als völkerrechtswidriger Angriff eigentlich mehr Empörung verdient hätte, ziehen die Karnevalisten fröhlich durch die Strassen. Das Land hat sich gewandelt: Der einstige Betroffenheitsweltmeister Deutschland, immer im Dienst an der ernsten Sache und mit allen Opfern der Welt solidarisch, lacht lieber und hält die eigenen Spaß-Traditionen hoch. So gesehen ist das Phänomen Schmidt eine Folge der Normalisierung der Deutschen. Und diese beginnt früher als uns die Lehre aus der öffentlichen Reaktion auf die Golf-Kriege glauben macht. Die Schmidt Biografin Mariam Lau zeigt, dass der Kulturwandel schon Ende der Achtzigerjahre im alten Düsseldorfer Kom(m)mödchens einsetzt, wo Schmidt engagiert ist: weg von der Belehrung und vom falschen Pathos, hin zum Spaß. Lau zeigt Schmidt als einen, der in den Betroffenheitsbekenntnissen der Gutmenschen Abgründe der Komik entdeckt, den der dauernde Bekehrungseifer nervt und der den Mut hat, sich mit dieser Fraktion anzulegen.

Schmidts anarchische Fernsehshow „Schmidteinander“, die von 1990 bis 1994 im WDR ausgestrahlt wird und Kultstatus genießt, markiert den Beginn der Comedy-Welle: eine Mischung aus Sketchen, Parodien, Blödeleien und derben Geschmacklosigkeiten, die Schmidt und sein Partner Herbert Feuerstein, seines Zeichens Ex-Chefredakteur von MAD, in einer Kulisse aus Ikea-Möbeln scheinbar locker aus dem Ärmel schütteln. Die Presse lobt die Sendung als „Reality-TV für Verhaltensgeschädigte“. 1995 startet auf Sat 1 die „Harald Schmidt Show“, abgekupfert vom US-Talker David Letterman, der zu Anfang der 90er Jahre seine prominenten Studiogäste je nach Laune böse der Lächerlichkeit preisgab oder freundlich belobhudelte. Wie Letterman wird auch Schmidt von einem Dutzend Gagschreiber mit komischen Einfällen beliefert. Den Beinamen „Dirty Harry“ hat sich Schmidt anfangs hart erarbeitet: Mal erfreut er sein Publikum durch Polen-, Ossi- oder Frauenwitze etwa der Art: „Was haben Klobrillen und Bettina Böttinger gemeinsam? Die würde kein Mann freiwillig anfassen!“ Mal lässt er sich über Promis aus, bezeichnet den Fußballer Jürgen Klinsmann als „Schwabenschwuchtel“ oder „Warmduscher“, was wiederum den Deutschen Fußballbund empört auf den Plan ruft.
„Comedy hat nichts mit Kabarett zu tun, Comedy hat keine Haltung, nur Humor“. So bringt der Spiegel die verbreitete Kulturkritik auf den Punkt: Schmidt sei so etwas wie der „Zeremonienmeister“ einer sich in den Medien krakenhaft ausbreitenden Spaßtruppe. In seinem Gefolge recycelten Comedy-Stars wie Stefan Raab, Wigald Boning oder Anke Engelke den täglichen Medienmüll, den sie zum Teil selbst produzierten. Die schnelle Pointe habe die leisen Töne eines Loriot, die primitive Zote habe den Hintersinn von Hildebrandts „Scheibenwischer“ abgelöst.

Tatsächlich ist Harald Schmidt der Totengräber des sozialdemokratischen Betroffenheitskabaretts. Die berechenbaren Politiksketche eines Hans-Dieter Hüsch oder Dieter Hildebrandts, frei nach dem Schema: „Die da oben, wir da unten“, bekämpfen immer noch die konservativen 50er Jahre und übersehen, dass die kulturelle Hegemonie längst biorotgrün verwaltet wird. Schmidt verhält sich nicht affirmativ zu den herrschenden Verhältnissen, sondern subversiv zur Political Correctness der Alt-68er. Er provoziert die Lehrerkollektive und die Frauen- und Ausländerbeauftragten der Republik mit Sprüchen wie „Die Scheidung hat viele soziale Vorteile: Denn mal ehrlich, ohne Scheidung hätten doch viele Frauen gar kein Einkommen!“ oder mit Running Gags wie „Die Weisheiten des Konfuzius“, die gegen die öffentlich-rechtliche Gutmenschen-Moral zielen. Die Derrick-Parodie „Hol schon mal den Wagen, Üzgür!“ klingt wie eine Antwort auf Günter Wallraffs Sozialreportage Ganz unten (1985) über den ausgebeuteten Ausländer Ali. Und vielleicht enthält Schmidts Credo „Behinderte haben auch ein Recht auf Verarschung“ mehr emanzipative Kraft als die Sozialarbeiterromantik eines Bruno Jonas...

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Harald Schmidt – Deutscher Schauspieler und Entertainer

Geboren am 18. 8. 1957 in Neu-Ulm, Familienkasper und Kirchenmusiker. Will schon als Kind der „größte Entertainer der Zeitgeschichte“ werden;
1984-89 Schauspieler am Düsseldorfer Kom(m)ödchen;
1988 Soloprogramm „Überstehen ist alles“;
1988 Moderator „MAZ ab!“;
1993-95 „Schmidteinander“ in der ARD;
1992 Moderation „Verstehen Sie Spaß?“;
1995 „Harald Schmidt Show“ (2000 Deutscher Fernsehpreis) bis Ende 2003.
1997 Grimme-Preis.
1993 „Tränen im Aquarium“;
1997 „Warum?“ Neueste Notizen aus einem beschädigten Leben.